„Der Marsch“
Ein Bericht von Thomas Müller
Die provisorischen Boote stranden auf europäischem Terrain, die „schwarze Flut“ betritt das Land und wird von „Blauhelmen“ in Empfang genommen. Ein tägliches Szenario an den Küsten von Spanien oder Italien. Ununterbrochen strömen die Flüchtlinge von dem krisengebeutelten „schwarzen“ Kontinenten Af-rika über die europäischen Grenzen und stellen die dortigen Regierungen vor Probleme ungeahnten Ausmaßes.
Es stellt sich die Frage, wie man mit diesen Flüchtlingen umgehen soll. Gemäß einem Abkommen der UNO vom Jahre 1951, genießt jeder Mensch Grundrechte und kann sofern er aufgrund seiner Nationalität, Rasse oder Religion verfolgt wird, nicht abgewiesen werden.
Dadurch ergibt sich das Problem, wie die Länder mit dieser „Völkerwanderung“ umgehen sollen. Schließlich verursacht die Beherbergung der Flüchtlinge Kosten und auch die Frage der Integrierbarkeit der Migranten stellt einen wichtigen Streitpunkt dar.
Und an dieser Stelle setzt das Planspiel „Der Marsch“, an dem unsere Klasse, die 13 W, teilgenommen hat, ein.
Die Mitglieder der EU müssen die Frage klären, ob man Spanien, das direkt von „dem Marsch“ betroffen ist, durch eine gemeinsame länderübergreifende Flüchtlingspolitik zur Seite stehen oder in anderer Form aktiv werden soll.
Unter der Anleitung eines Referenten der Europäischen Akademie Bayern müssen die Teilnehmer neun verschiedene Mitgliedsstaaten der Europäischen Union und deren unterschiedlichen Interessen vertreten.
Aber um überhaupt erst mal eine solche Diskussion führen zu können, mussten wir uns das nötige Background–Wissen erarbeiten. So verschufen wir uns am ersten Tag einen Überblick über die Geographie Europas sowie die Marsch–Routen der Flüchtlinge.
Außerdem wurden uns die verschiedenen Instrumente der Entscheidungsfindung innerhalb der EU vorgeführt, so unterbreitet die Europäische Kommission dem Rat der EU (bestehend aus 27 Ministern der jeweiligen Länder) und dem Europäischen Parlament Vorschläge, über die die beiden letzt genannten Einrichtungen abstimmen, wobei die Stimmen gleichberechtigt sind. Der Rat und das Parlament können sich gegenseitig blockieren, darum ist es wichtig, auf dieser Ebene Kompromisse einzugehen, um politische Entscheidungen zu verwirklichen.
Der Europäische Rat besteht, wie schon erwähnt, aus den 27 Ministern der Mitgliedsländer, wobei jedes Land eine gewisse Anzahl an Stimmen hat, welche sich nach der Einwohnerzahl des jeweiligen Landes richtet (z. B. verfügt Deutschland über 27 Stimmen, Lettland dagegen über vier). Die Anzahl der Stimmen hat aber letztendlich kein allzu großes Gewicht, da schon ein einzelnes Land mit einem Veto den ganzen Entscheidungsfindungsprozess blockieren kann. Vielmehr ist diplomatisches Fingerspitzengefühl gefragt, um eine gemeinsame Lösung zu finden, die alle Länder zufrieden stellt. Wendet sich ein Land gegen die Interessen des anderen, könnte dies zur Folge haben, dass eigene Anliegen nicht mehr unterstützt werden. Man sieht, dass die Politik auf europaübergreifender Ebene alles andere als simpel ist.
Wie das in der Praxis aussieht und funktioniert, durften wir am folgenden Tage erfahren, denn wir wurden in Delegationen der Länder Spanien, Griechenland, Italien, Frankreich, Deutschland, Großbritannien, Polen, Schweden und Lettland aufgeteilt.
Nochmals wurden uns die Problematiken des Genozides (Völkermord), Bürgerkrieges, AIDS und Hunger in Afrika gezeigt, um die Sichtweise der Flüchtlinge vor Augen zu führen.
Im Gegenzug bekamen wir zu unseren Ländern die jeweiligen Portfolios, welche über die aktuelle Situation im eigenen Land aufklären und mit Hilfe von Informationen wie der Arbeitslosigkeitsquote und des Wirtschaftswachstums mussten wir eigene Standpunkte für die anschließende Diskussion ausarbeiten.
Hierbei werden jetzt eigene Interessen mit denen der anderen EU–Mitglieder, sowie die der Flüchtlinge gegenübergestellt.
Die Diskussion wurde von Spanien eröffnet, welches seine aktuelle Situation mit der Überforderung der drohenden Flüchtlingswelle schilderte und eine gemeinsame Flüchtlingspolitik auf europäischer Ebene forderte. Die anderen acht Länder gaben dazu kurze Statements ab.
Zwischen den Diskussionen wurde der Spielfilm „Der Marsch“ eingespielt, der von einer 250.000 Mann starken Flüchtlingsbewegung aus Sudan, die Richtung Europa marschiert, handelt. Hierbei versucht die Europäische Union ebenfalls eine Lösung für das Problem zu finden, dadurch wurden für unser Planspiel neue Aspekte eingebracht. Der Film zeigt die Problematik seitens der afrikanischen Flüchtlinge und auf der Gegenseite die Hilflosigkeit innerhalb der EU, in der die Lage von mancher Seite unterschätzt wird und dadurch wiederum die Entscheidungsfindung blockiert wird – so werden die Probleme weiter und weiter aufgeschoben. Das Ende wird offen gehalten, da man bis heute noch keine zufrieden stellende Lösung gefunden hat.
Schnell waren die Fronten in unserem Planspiel geklärt, so erklärte die deutsche Delegation, dass die Flüchtlinge ein Problem der Länder des Mittelmeerraumes seien und dass man die Frage regional lösen sollte. Das finanziell angeschlagene Griechenland weigerte, sich liquide Mittel nach Afrika zur Verfügung zu stellen, da diese nicht dort ankommen würden, wo sie gebraucht werden, lieber wolle man Hilfspersonal zur Verfügung stellen. Die Letten unterstützten im Zeichen der europäischen Solidarität den Vorschlag Spaniens zu einer gemeinsamen Flüchtlings-politik und forderten eine Aufteilung der Flüchtlinge über die ganze EU zur Entlastung der Mittelmeerstaaten. Andere Länder wiederum forderten eine Schließung der Grenzen.
Die große Anzahl an verschiedenen Standpunkten und Interessen sorgte schnell für hitzige Diskussionen in einer an sich harmonischen Klasse! So hatten die kleinen Letten mit arroganten Briten zu kämpfen. Und Deutschland legte sich mit der halben EU an, währenddessen Schweden sich dezent aus den meisten offenen Diskussionen heraushielt.
Schon in einem Planspiel, in dem die EU auf ein Drittel ihrer Größe reduziert wurde, konnte keine Einigung erzielt werden.
Diese Erfahrung war sehr erschreckend, wenn man bedenkt, dass es in der Realität noch härter und zäher zugeht und Entscheidungen, wenn überhaupt, erst nach vielen Monaten getroffen werden können.
Auf der anderen Seite waren diese Einblicke auch äußerst wertvoll, schließlich lernte man viel über die Funktionsweisen der internationalen Politik und über politische Mechanismen und versteht auch Zusammenhänge zwischen den Ländern viel besser.
An dieser Stelle möchte ich die Wahrnehmung eines solchen Angebotes auch an andere Klassen empfehlen. Es ist wirklich schade, dass das Kultusministerium solche interessanten Einblicke in die Politik nicht in ihre Lehrpläne mitaufnimmt.
Abschließend möchten wir uns noch bei Frau Hublitz und unserem geduldigen Referenten und Mediator für die zwei interessanten und spannenden Tage bedanken.